Je mehr ich Deutsch spreche, desto mehr muss ich aushalten, mich nie vollständig oder so schön ausdrücken zu können, wie in meiner Muttersprache.
Eintrag vom 19.12.2022
Mit Nada, ehemalige Teilnehmerin von dem Goldnetz Projekt MUMM: Coaching für Mütter mit Migrationshistorie, sprechen wir u.a. über die Bedeutung von Sprache - für sie selbst, ihr Schreiben und ihre Arbeitsplatzsuche in Deutschland.
Liebe Nada, du hast vor wenigen Wochen einen ganz wichtigen Schritt in deinem Leben gemacht – du hast bei einem Berliner Unternehmen eine Arbeit als Ingenieurin aufgenommen. Wie sah der Weg dahin aus?
Puh, das war ein langer Weg. Als ich 2019 nach Deutschland kam, konnte ich noch gar kein Deutsch und habe von allen Seiten gesagt bekommen, dass es aussichtlos sei, in Deutschland als Ingenieurin zu arbeiten. Aber ich hatte ein Ziel: Ich wollte mir und meinen Kindern eine Lebensgrundlage schaffen, die uns erlaubt, selbstbestimmt und unabhängig unseren Weg zu gehen. Im ersten Jahr war ich damit beschäftigt, Deutsch zu lernen, mich in Berlin zu orientieren und zu vernetzen. Dann kam die Pandemie und ich hatte noch keine KiTa-Plätze für meine Kinder… Das war wirklich ärgerlich. Denn ich hatte mich kurz vorher als Projektmanagerin auf eine Stelle, in der ich Englisch sprechen konnte, beworben und sogar eine Zusage bekommen. Nur die Kinderbetreuung fehlte…
Ist das die Stelle, in der du heute arbeitest?
Nein. Die konnte ich aufgrund der fehlenden Betreuung nicht annehmen… Mitte 2021 habe ich dann einen Flyer vom MUMM-Projekt in die Hand gedrückt bekommen und sofort erkannt, dass die Teilnahme eine Chance ist, endlich wieder etwas für mich zu tun. Also habe ich mich sofort angemeldet! Bis dahin war ich davon ausgegangen, höchstens als Managerin Arbeit zu finden, weil das auch Teil meines Studiums gewesen war. Bei MUMM haben wir irgendwann eine Übung gemacht, in der wir uns vorstellen sollten, in unserem Traumjob zu arbeiten – das konnte auch etwas völlig Realitätsfernes sein. Ich hatte mir daraufhin spaßeshalber vorgestellt als Regisseurin und Schriftstellerin zu arbeiten und bin, trotz allen Widerstandes, mit dem Gefühl, dass wirklich alles möglich ist, aus der Übung gegangen. Das war total hilfreich – endlich habe ich erkannt, dass es nur eine klare Entscheidung und einen guten Plan braucht, um mein Ziel zu erreichen.
Was war denn dein Ziel, wenn nicht die Regiearbeit und Literatur?
Ich bin ja gezielt nach Deutschland gekommen, weil ich meinen Kindern hier eine Zukunft ermöglichen möchte – dazu gehört in meinen Augen auch, mich zu integrieren und vor allem die deutsche Sprache zu sprechen. Ich wollte also immer auf Deutsch arbeiten und auch in dem Beruf, für den ich mich in meiner Heimat ausgebildet habe – als Ingenieurin. Das habe ich mir dank des Coachings bei MUMM erst wieder eingestehen können. Der Austausch mit den anderen Frauen im Projekt hat mich sehr ermutigt. Zu sehen, dass auch andere Menschen ihre Herausforderungen und ein Leben in der Fremde meistern, hatte mich inspiriert und gestärkt. Daraufhin habe ich meine Job-Suche korrigiert und intensiv recherchiert, welche Unternehmen in Berlin für mich tatsächlich interessant sind.
Wie ging es dir inzwischen mit der deutschen Sprache?
Deutsch war und ist für mich noch immer eine fremde Sprache. Menschen, die nicht aus Deutschland kommen, haben meist große Bedenken, auf Deutsch zu arbeiten – sie fühlen sich oft unsichtbar, weil sie sich sprachlich nie ganz richtig verständlich machen können. Aber durch das Coaching bei Goldnetz konnte ich meine alten Glaubenssätze loslassen und den Mut finden, mich trotzdem zu bewerben. Im Vorstellungsgespräch bei dem Unternehmen, für das ich jetzt arbeite, habe ich es einfach direkt angesprochen, dass mein Deutsch noch nicht perfekt ist. Daraufhin meinte mein heutiger Chef, dass das doch gar kein Problem sei – viel wichtiger sei doch, dass ich das notwendige Wissen und bestimmte Fähigkeiten mitbringe. Schon in der ersten Arbeitswoche konnte ich meine letzten Bedenken, dass mir die Sprache im Weg stehen könnte, loslassen – mir wird einfach so viel Wertschätzung entgegen gebracht, für das was ich sonst alles kann. Für diese Erfahrung bin ich total dankbar! Je mehr ich nämlich Deutsch spreche, desto mehr muss ich aushalten, mich nie vollständig oder so schön ausdrücken zu können, wie in meiner Muttersprache.
Sprache scheint dir sehr wichtig zu sein. Vorhin hast du auch erzählt, dass du dir in einer Übung vorgestellt hast, Schriftstellerin zu sein. Hast du schon einmal selbst etwas geschrieben?
Oh ja, in Serbien habe ich viel geschrieben – Texte und auch Gedichte. Manches habe ich dort sogar veröffentlicht. Aber seit ich in Deutschland bin, schreibe ich nur noch privat. Als neu zugezogene und alleinerziehende Migrantin hatte ich so viele Veränderungen zu verarbeiten und war anders verletzlich als früher. Da wollte ich mich vor der Kritik schützen, die mit Veröffentlichungen immer einher geht. Ich hatte in den letzten Jahren auch in anderer Hinsicht ganz schön zu kämpfen mit mir. Das Schreiben ermöglicht mir, Dinge zu reflektieren und auszudrücken, die mit rationalen Worten nicht so klar zu erklären sind. Aber ich habe schnell gemerkt, dass es für mich nicht mehr stimmt, auf Serbisch zu schreiben – jetzt, wo ich in Deutschland lebe. Und im Deutschen fühle ich mich noch lange nicht sicher und frei genug… Gerade probiere ich aus, wie es für mich ist, auf Englisch zu schreiben und mache damit ganz gute Erfahrungen.
Hier geht es zum Gedicht "New Home" von Nada.
Woher kommt deine Freude am Schreiben?
Zum einen sicherlich daher, dass ich mir Erinnerungen schaffen möchte. Wenn ich heute zum Beispiel das Gedicht lese, das ich kurz nach meiner Ankunft in Deutschland für mich privat geschrieben habe, dann spüre ich sofort wieder, wie es mir damals ging und kann mich an all das erinnern, das mich beschäftige. Zum anderen kommt ein Teil der Inspiration heute vielleicht auch daher, dass ich in der deutschen Sprache nie ganz vollständig ausdrücken kann, was ich sagen möchte. Manchmal wird mein Bedürfnis, etwas richtig Schönes auf meiner Muttersprache sagen oder schreiben zu können, dann sehr groß. Dieses Gefühl, wie es ist, im Alltag nie seine Muttersprache sprechen zu können, ist schwer zu erklären und wahrscheinlich für Menschen, die das nie erlebt haben, auch schwer nachzuvollziehen. Wenn ich auf meiner Muttersprache schreibe, ziehe ich daraus heute jedenfalls sehr viel Ermutigung und Compensation/Ausgleich für mein ganzen Leben. Während ich im Beruf einen sehr rationalen Teil von mir auslebe, kann ich im Schreiben meiner Intuition folgen und auch Emotionales besser anschauen. Das hilft mir oft, um vom Schwarz-Weiß-Denken loszulassen und mit mir selbst gnädiger zu sein, als es mein rein rationaler Anteil sonst ist.
Für welche Situationen hilft es dir besonders, deine intuitive Seite miteinzubeziehen?
Eigentlich für alle zwischenmenschlichen. Je besser wir uns selbst kennen, desto besser können wir uns in all unsere Kontakte einbringen. Und wenn die Atmosphäre, beispielsweise in einem Team, gut ist, gelingen die Entscheidungen auf der Sachebene auch leichter. Auch im Kontakt mit meinen Kindern merke ich das. So eine Ein-Eltern-Familienkonstellation ist ja schon ziemlich herausfordernd. Gleichzeitig möchte ich meinen Kindern wirklich alles mitgeben, was sie für ihr Leben brauchen. Für mich persönlich ist es total wichtig, dass meine Kinder später mal auf eine schöne Kindheit zurückgucken können und sehen, dass ich für sie da war und parallel mein eigenes Leben erfolgreich geführt habe. Diesem Ziel immer zu folgen ist als Alleinerziehende gar nicht so leicht, wie es vielleicht scheint. Aber ich bin stolz darauf, niemals aufgegeben zu haben, egal wie schwer es streckenweise auch war. Ich bin meinem Ziel treu geblieben – I stayed on the track.
Vielen herzlichen Dank für das Gespräch, Nada! Zu hören, dass du es geschafft hast, auf deinem Weg zu bleiben und dein berufliches Ziel zu erreichen freut uns total und wird sicher viele Menschen, die dich in der Kampagne Wissen für Alle sehen und lesen werden, ermutigen, selbst ebenfalls dran zu bleiben an ihren Zielen!