Mareena Farah, traumasensibles Yoga in Berlin
“Mein Mut gab mir eine Stimme, mein Mitgefühl offene Ohren und ein offenes Herz.”
Seit Ihrer Flucht aus Dubai ist Mareena Farah (ursprünglich aus Palästina) seit 2016 in der Geflüchtetenhilfe in Berlin aktiv. Als erste Yogalehrerin in Berlin unterrichtet sie seit einigen Monaten traumasensibles Yoga und Shiatsu für arabischsprechende geflüchtete Frauen im Hangar 1 des ehemaligen Tempelhofer Flughafens. Aber ihr Unterricht ist mehr als das. Mareena Frarah hat durch ihn ein Netzwerk initiiert, dass Frauen zu mehr Austausch und Selbstbestimmtheit verhilft, mehr als 100 Frauen sind bis heute Teil der Community, die täglich wächst.
Begleitet durch das GOLDNETZ Coaching im Rahmen des Programms „Solidarisches Grundeinkommen“ (SGE) startet Mareena Farah ihre nun eine Ausbildung als zertifizierte traumasensible Yogalehrerin. Mareena Farah läßt uns in diesem Interview an Ihrer Geschichte teilhaben, die von Mut und der festen Überzeugung erzählt, das Bildung der Schlüssel für ein selbstbestimmtes Leben ist.
Liebe Mareena, wie hat alles angefangen?
Ich komme ursprünglich aus Palästina und bin dort als palästinensisch christliche Orthodoxin aufgewachsen. In unserem Kulturkreis ist es üblich, dass man früh heiratet und die Frage nach der beruflichen Ausrichtung spielt vor allem für Frauen eine weniger zentrale Rolle (trotzdem haben mehr Frauen Hochschulabschlüsse als Männer) Ich hatte schon immer den Wunsch nach Bildung, nach Freiheit und Autonomie - mein eigenes Geld verdienen, das war mir immer sehr wichtig. So folgte ich meiner Passion sehr früh und begann, englische Literatur zu studieren, mit dem Ziel, als Fernsehmoderatorin zu arbeiten. Mein damaliger Mann und ich zogen während dieser Zeit gemeinsam nach Dubai und bekamen zwei wundervolle Kinder zusammen.
Während des Studiums kümmerte ich mich um meine Kinder. Mir war es sehr wichtig, ihnen früh aufzuzeigen, dass der einzige Weg in die Freiheit über Bildung geschehen kann, denn diese gewährt Zugang zu einem selbstbestimmten Leben. Mit der Zeit wurden die Konflikte zwischen mir und meinem Mann jedoch immer größer. Er setzte alles daran, ein Bild einer traditionellen, konservativen Ehe zu zeichnen und schreckte dabei auch vor gewaltsamen Mitteln nicht zurück.
Die Situation eskalierte. Mit der Scheidung kam er mir zuvor. Das hatte zur Folge, dass ihm das Sorgerecht für die Kinder übertragen wurde. Mein Leben fiel auseinander, in dieser Situation gab es für mich weder familiär noch gesetzlich Handlungsspielraum. Von heute auf morgen verlor ich meine Kinder, zu denen ich bis heute keinen Kontakt mehr habe und gelte als Schande der Familie.
Um nicht als geschiedene Frau am Rande der Gesellschaft leben zu müssen, floh ich mit der Unterstützung meiner Familie 2015 nach Belgien, wo ich einen Cousin heiraten sollte. Im November 2016 schaffte ich es dann aber tatsächlich, von Belgien nach Deutschland zu kommen. Ich konnte es nicht glauben. So viele Hürden musste ich nehmen, so viel erleiden und dann kam der Tag, an dem ich in Deutschland ankam, in Freiheit. Doch nach all diesen Jahren des Kampfes und der Flucht bedeutete diese Freiheit für mich lediglich äußere Freiheit. Innerlich sah das ganz anders aus.
Ich bin davon überzeugt, dass man sich im Leben immer entscheiden kann – auch wenn es einen vor sehr große, schmerzhafte Herausforderungen stellt: Entweder man resigniert oder man nimmt diesen Schmerz als Antrieb und verwandelt ihn in etwas Sinnstiftendes, das anderen Menschen dienlich sein kann.
Ich entschied mich für Zweiteres und somit dazu, arbeiten zu wollen. Nur einen Monat nach meiner Ankunft fand ich den THFwelcome e. V. einen Verein, der geflüchtete Menschen, vor allem Frauen mit Kindern nach ihrer Ankunft in Deutschland unterstützt. Ziel ist dabei, sie bei der Realisierung eines eigenständigen unabhängigen Leben zu begleiten.
Da ich sehr gut Englisch und Arabisch spreche, konnte ich mich sofort als Dolmetscherin einbringen. Schnell bemerkte ich, dass fast alle Frauen ein ähnliches Schicksal teilten. Nun waren wir in Deutschland angelangt, bekamen das erste Mal in unserem Leben Rechte zugesprochen, aber wussten nicht, damit umzugehen. Hier gilt es zu informieren und aufzuklären aber noch zentraler ist für mich, den Frauen Vertrauen in die eigene Stärke zu geben. Empowerment von Frau zu Frau!
2020 wurde eine SGE-Stelle beim THFwelcome e.V. für mich geschaffen. Mit dem Eintritt in das SGE-Projekt hat für mich ein ganz neues Leben angefangen, eine wunderbare neue Chance:
Beschreiben Sie kurz Ihre aktuelle SGE-Tätigkeit?
Die Arbeit in THFwelcome e.V. hat viel in mir bewegt und mir bewusst gemacht, dass gerade geflüchtete Frauen und Kinder ein viel größeres Sicherheitsbedürfnis haben und oft nicht wissen, was es überhaupt bedeutet, Sicherheit im eigenen Körper zu empfinden. Ich selbst habe durch Yoga das erste Mal erfahren, was es heißt, mich in meinem eigenen Körper zu spüren und dieser Moment war unglaublich kraftvoll. So kam mir während meiner SGE-Tätigkeit die Idee, es mir zur Aufgabe zu machen, auch anderen Frauen diese Erfahrung zu ermöglichen und mein Wunsch, als traumasensible Yogalehrerin zu arbeiten, festigte sich. Glücklicherweise gibt es im SGE-Projekt auch ein begleitendes Job-Coaching, für das ich sehr dankbar bin. Gemeinsam mit meinem Job-Coach, der Hilfe von Goldnetz gGmbH und dem Senat haben wir das scheinbar Unmögliche möglich gemacht:
Ich starte mit der Ausbildung zur trauma-sensiblen Yogalehrerin an einem Institut in Boston, USA. Ich habe bereits an einer einführenden Veranstaltung zu TCTSY teilgenommen und setze das dort Gelernte seit vergangenem Jahr in die Tat um: Jeden 2. Samstag im Monat unterrichte ich im Hangar 1 traumasensibles Yoga und Shiatsu für Frauen mit Flucht- und Gewalterfahrungen. Mittlerweile befinden sich über 100 Frauen in diesem Netzwerk und das Interesse von anderen Unterkünften wächst ebenfalls. Ich bin die erste Yogalehrerin, die auf Arabisch in einem geschützten Raum Frauen die Möglichkeit bietet, sich selbst zu erfahren, Sicherheit zu erfahren und obendrein ein Netzwerk initiiert, dass Frauen zum Austausch und somit zu mehr Selbstbestimmtheit verhelfen. Ich bin zutiefst dankbar, mit meiner eigenen Geschichte so einen wertvollen Beitrag zu leisten. Nicht alle Männer unterstützen ihre Frauen, sie weigern sich z.Bsp., die Kinderbetreuung zu übernehmen - aber wir finden Lösungen: Bei uns im Hangar habe ich eine Babysitterin eingestellt, die während der Kurse die Kinderbetreuung sicherstellt.
Was hat sich durch Ihre SGE-Stelle für Sie geändert?
Mein gesamtes Leben hat sich verändert. Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich sicher und angekommen. Zum ersten Mal in meinem Leben verdiene ich mein eigenes Geld, zum ersten Mal in meinem Leben muss ich keine Angst haben, meine Arbeit durch die Auswirkung von außen zu verlieren, ich erlebe ich ein Gefühl von innerer Erfülltheit und Freude. Ich habe meine Mission entdeckt und kann durch meine eigene Geschichte andere Frauen erreichen.
Wer oder was hat Sie auf Ihren beruflichen Weg motiviert?
Meine eigene Geschichte, meine Erfahrung als ankommende Geflüchtete in einem neuen Land, in einer neuen Kultur. Außerdem hat es mich motiviert, eine zweite Chance bekommen zu haben, mein eigenes Leben selbstbestimmt zu leben, mich für Bildung und Arbeit zu entscheiden. Auch wenn das für mich hieß, meine Heimat zu verlassen und bis zum heutigen Tag keinen Kontakt zu meinen Kindern zu haben. Ich vermisse sie schrecklich und hoffe, dass wir uns, wenn sie erwachsen sind, wiedersehen werden und dass vor allem meine Tochter stolz auf mich sein wird. Ich wünsche mir, dass sie hinter die Fassade blickt, um zu verstehen, dass jede Frau das Recht auf Bildung haben sollte und auf ein selbstbestimmtes Leben. Mein einziger Ausweg, um am Leben zu bleiben, war das Land zu verlassen.
Wie stellen Sie sich Ihre berufliche Zukunft vor?
Ich möchte gerne das gesamte traumasensible Yoga und Shiatsu Programm ausbauen und ausweiten, so dass so viele Frauen wie möglich Zugang dazu finden können und Teil einer Community werden, die sich gegenseitig unterstützt und über Frauenrechte aufklärt. Das trauma-sensible Yoga soll Frauen zeigen, wie es sich anfühlt, sich sicher im eigenen Körper zu fühlen und ihnen bewusst machen, dass sie nicht allein mit ihren Erfahrungen sind. Es ist mir ein großes Anliegen, eine Community zu errichten, in der es um Empowerment geht und in der zentrale Hilfestellung geboten wird, wie Frauen aus diesen Strukturen ausbrechen können und ein Recht auf Bildung und Arbeit erhalten.
Was raten Sie anderen (Frauen) in einer beruflich schwierigen Situation?
Egal wie groß Deine Schritte in einem Veränderungsprozess sind, auch wenn es nur ein kleiner Schritt ist, sei mutig und geh den ersten Schritt. Der Rest folgt intuitiv. Es gibt einen Ort in Dir, in dem Du sicher bist und wenn Du da hinein spürst, wirst Du wissen, was wichtig für Dich ist. Informiere Dich über Deine Rechte und nutze Deine Chance auf Bildung, denn Bildung und Wissen ist Macht.
Wir danken unserer Kollegin Katja Wieland für das tolle Interview!
Am 8. März 2023 erscheint ein Film über Mareena Farah im französischen Fernsehen auf dem Kanal France24. Der Film heißt „Hayat“.